Ich esse nur ganz wenig Fleisch, und wenn dann nur Bio von glücklichen Tieren vom Metzger meines Vertrauens

Kurz und knapp

Das kann einfach rein rechnerisch schon nicht stimmen, da gefühlt 100% der Menschen das sagen, aber nur ca. 2 % Biofleisch in Deutschland verkauft wird. Und selbst Bio heißt ja noch nicht glückliche Tiere aus der Region. Bei 98 % Tierfleischproduktion aus Massentierhaltung ist das ein wenig glaubhaftes Argument.

Freunde und Verwandte

Wow, was habe ich nicht für reflektierte und bewusste Freunde, Bekannte und Verwandte. Ich bin so stolz. Alle, wirklich alle erzählen mir, dass sie nur wenig Fleisch essen und wenn dann nur Bio und vom Metzger des Vertrauens. Keiner will für Tierleid verantwortlich sein.

Aber der Knüller sind die Diskutanten bei Facebook unter so Beiträgen wie der Zeit „Hausschlachtung: Wir schlachten ein Schwein“, die sind von einer noch selteneren Spezies, die haben einen Landwirt um die Ecke und kennen sogar das Schwein/Rind von der Geburt an oder sind selber der hausschlachtende Landwirt mit dem glücklichen Tier, das am Lebensabend in die Wurst verarbeitet wird.

Um so weiter weg die Diskutanten um so idealere Bedingungen für die Tiere scheinen zu herrschen.

Wenn ich es mir recht überlege, dann muss man da vielleicht ein paar Abstriche, schon aus rein rechnerischen Gründen machen. Wenn man bedenkt dass 98% des Fleisches in Deutschland aus der Massentierhaltung kommt und die restlichen 2% auch nicht nur freilaufende Rinder von der Weide auf der Alm sind, dann passt das einfach nicht mit den 100 % Menschen zusammen, die Fleisch eben nur aus idealen Bedingungen essen um ein reines Gewissen zu haben.

Hinzu kommen noch die ganzen Dinge, die auch Tierleid verursachen, die man aber gar nicht auf dem Schirm hat wie zum Beispiel:

  • Gelatine in Gummibärchen
  • Milchpulver in Schokolade und in sehr vielen anderen Lebensmitteln
  • Fruchtsäfte und Wein, die mit Gelatine geklärt werden
  • Laktose in Saucen, Suppen, Backwaren, Chips
  • tierische Fette (Schlachtabfälle) im Weichspüler, Seife und Duschgel
  • Das Fleisch aus der Kantine, die Salami auf der Tiefkühlpizza, das Fleisch vom Schnellimbis
  • Ledersitze im Auto
  • Waschmittel, Seife, Shampoo
  • Klebstoffe in Schuhen…

In sehr vielen Produkten sind versteckt irgendwo tierische Inhaltsstoffe zu finden. Woher kommen diese „Rohstoffe“ wohl? Von der Mastanlage auf dem freien Land oder von dem einen Landwirt, der die Tiere auf der grünen Wiese hält und sie am Ende ihres Lebens „schonend“ auf der Wiese selbst erschießt?

Viele belügen sich selbst um einem Dilemma zu entgehen

Jeder weiß wie viel Leid bei der Produktion von Fleisch entsteht. Diese Informationen sind frei verfügbar und jeder hat die schrecklichen Bilder aus Schlachthöfen oder der Massentierhaltung schon einmal gesehen. Selber will man damit aber nichts zu tun haben und sucht sich einen Ausweg aus diesem Dilemma. Eine Möglichkeit scheint zu sein, sich vorzustellen, dass die Tiere ein glückliches Leben auf einer grünen Wiese gehabt haben und es ihnen gut ging bevor sie geschlachtet wurden.

Anders kann ich mir nicht erklären, dass eigentlich jeder, mit dem/der ich darüber spreche genau diesen Satz mir gegenüber äußert, und das auch zu glauben scheint. Da schlägt dann die kognitive Dissonanz zu, da es sich mit den echten Zahlen aus der Realität leicht widerlegen lässt, dass so viele Menschen sich ausschließlich mit Bio-Fleisch von glücklichen Tieren vom vertrauenswürdigen Metzger aus der Region ernähren.

Ist glücklich sein ein gutes Argument wenn es darum geht den Tieren ihr Leben viel zu früh zu nehmen. Sicher nicht, man würde auch keine Menschen nur deshalb töten, weil sie ein glückliches Leben hatten. Es hört sich aber versöhnlich an, denn dann kann man glauben die Tiere hätten eine gute Zeit gehabt. Die Tierindustrie wirbt daher auch gerne mit grünen Wiesen und Tieren, die auf schönen Almen ihr Leben verbringen. Die meisten Tiere sehen aber in ihrem Leben selten bis gar kein Tageslicht und werden in der Blüte ihrer Jugend geschlachtet. Auf jeden Fall lange bevor sie natürlich sterben würden.

Ist Bio besser was Tierleid angeht?

Bio heißt nicht automatisch glückliche Tiere. Bio ist eine Zertifizierung die das Wohlergehen der Konsumenten, nicht der Tiere als Ziel hat. Dabei wird sehr viel Augenmerk auf die Vermeidung von Pestiziden bei Pflanzen gelegt. Tiere sollen möglichst wenig gentechnisch verändertes Futter bekommen und nur einmal in ihrem Leben mit Antibiotika behandelt werden. Ansonsten ist das Wohlergehen der Tiere eher zweitrangig.

Schweine

Einem konventionellen Schwein stehen gerade mal 0,75 Quadratmeter zur Verfügung. Bio-Schweine werden in der Endmast auf 1,3 Quadratmeter Stallfläche plus 1 Quadratmeter im Auslauf gehalten (Wenn man sich das mal verinnerlicht, ein ganzes Leben auf 2,3 Quadratmeter, dann kommen einem die Einschränkung, die manche Menschen beim tragen einer Maske erleben noch marginaler vor).

Die ganzen Coronaleugner und Querdenker sollten konsequenter Weise alle vegan sein

Vabian

Ein Bio-Schwein kann also sein ganzes Leben auf 2,3 Quadratmetern verbringen.

Milchkühe

Bei der Erzeugung von Bio-Milch werden die Kälber auch direkt nach der Geburt von ihren Müttern getrennt Bei manchen Bio Siegeln dürfen die Kälber erst nach einem Tag von der Mutter getrennt werden. Die männlichen Bio-Kälber landen immer in der Fleischproduktion, werden also nach ca. 6-7 Monaten geschlachtet. Die Milchkühe leben meist nicht länger als 4-5 Jahre bis sie völlig ausgemergelt sind und ihre „Leistung“ nicht mehr erbringen können und auch zum Schlachter gebracht werden. Das Leid ist also genau das gleiche wie bei konventioneller Milcherzeugung.

  • Zwangsbesamung der Mutterkuh
  • Sofortige oder sehr schnelle Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt
  • Schlachtung von männlichen Nachkommen, die für die Milcherzeugung nicht gebraucht werden können
  • Durchschnittliche Lebenserwartung einer Milchkuh, 4-5 Jahre bis sie unrentabel wird

Es Spielt also bei Milchprodukten für das erfahrene Tierleid fast keine Rolle ob nun Bio oder konventionell erzeugt.

Legehennen

Genau so die männlichen Küken von Bio-Legehennen, die entweder vergast oder geschreddert werden. Deren kurzes Leben besteht aus geboren werden und dann sofort, entweder vergast oder geschreddert zu werden.

Kaum haben sie das Licht der Welt erblickt, werden sie von uns Menschen getötet.

Die Hühner werden auf Eier legen gezüchtet, dann sind die männlichen Nachkommen von ihnen für die Eiproduktion und auch für die Fleischproduktion untauglich und werden sofort nach ihrer Geburt getötet, egal ob Bio oder konventionell.

Einer aktuellen Studie zufolge leiden 85 Prozent aller Legehennen an einem gebrochenen Brustbein, dabei spielt es keine Rolle ob Bodenhaltung, Bio oder Freilandhaltung.

Am Ende landen auch die Bio-Tiere bei einer Großschlachterei

Also was bringt es einem Tier, dass es ein „Bio“ Leben hatte wenn es am Ende doch getötet wird. Ob Bio oder nicht, fast alle Tiere landen am Ende bei einer Großschlachterei mit der entsprechenden „Behandlung“.

Nebenprodukte der Tierhaltung

Abgesehen von reinen Fleisch und Milchprodukten werden tierische Nebenprodukte wie Leder, Knochen, Wolle, Gelatine und alle anderen Tierreste, die fast überall eingesetzt werden, eher selten von Bio-Tieren stammen.

Wie glücklich muss ein Leben sein, damit ich es beenden darf?

Auf einer Skala von Eins bis Zehn, wie glücklich muss ein Tier deiner Meinung nach sein, dass wir es umbringen dürfen, nur um es zu essen, obwohl wir Alternativen haben?

Internet

Ich finde, diese Frage bringt es auf den Punkt. Was ist das für eine seltsame Einstufung. Wenn das Tier glücklich war, dann darf ich sein Leben frühzeitig beenden. Ist das wirklich unsere Sicht der Dinge?

Und selbst wenn die Tiere ein glückliches Leben haben, hätten die Tiere nicht auch das Recht so lange zu leben wie es die Natur für sie vorgesehen hat? Also ein Schwein z.B. bis zu 20 Jahre statt 6-7 Monate bis es geschlachtet wird?

Wenn das glückliche Leben ein valides Argument für den Tod ist, wie sähe das dann beim Menschen aus?

Hilft es dem Tier wirklich, dass es vom Metzger deines Vertrauens kommt?

Da es Tierquälerei bei allen Größen von Betreiben gibt müsste man das Tier also von der Geburt an bis zum Schlachthof begleitet haben um wirklich sagen zu können, dass es ein glückliches Leben hatte und auch bei der Schlachtung alles mit rechten Dingen zuging. Man muss seinem Metzger also vertrauen wo er seine Ware her bekommt. In den allermeisten Fällen wird das aber eben nicht aus tierqualfreien Quellen sein, da es diese fast nirgends gibt.

Wie viele Tiere werden „human“ getötet?

Da die Genehmigungen für das Erschießen von Tieren auf dem freien Feld nicht leicht erteilt werden ist die Weideschlachtung nicht wirklich weit verbreitet. Also die „humanste“ Form der Tötung wird laut taz in Niedersachsen in 5 Jahren (2015 bis 2020) nur 1002 Mal in 75 Betrieben vollzogen. Im gleichen Bundesland werden in einem Monat bis zu 1,6 Mio. Schweine geschlachtet.

Triggerwarnung, Tötung eines Rindes auf dem Feld.

Fazit

Wer die heutigen Bedingungen der Fleischerzeugung kennt, Kastenstände, Massentierhaltung (98 % der Fleischerzeugung stammt aus der Massentierhaltung) der kann sein Gewissen eigentlich nicht damit beruhigen, dass ausgerechnet seine Fleischprodukte aus einer Haltung mit glücklichen, artgerecht gehaltenen Tieren kommen. In den allermeisten Fällen entspricht das nicht der Wahrheit. Und selbst wenn, dann will das Tier aus dieser idealen Haltung sicher nicht sterben um auf unserem Teller zu landen. Da sollte man sich selber gegenüber schon ehrlich sein, den Tieren zuliebe.

Es gibt keine humane Art jemanden zu töten, der nicht sterben will.

Brat Pitt, Schauspieler und Veganer

Ein guter Weg wäre es sicher das Dilemma anzuerkennen und einfach zu sagen, ok, das ist ein wirklich übler Missstand, aber ich bin im Moment noch nicht so weit mich dahingehend zu verändern. Das wäre ehrlich zu sich selbst und ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Veränderung des eigenen Verhaltens.

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